Klee ist zur Zeit dieses Berichtes 77 Jahre alt!!!

09-10-08

 Bellingham, 15.8.1999 

Friedel Klee mit Sextant

Liebe Freunde,

Die VAGANT an Kap Hoorn

nun ist schon wieder so viel Zeit vergangen, daß ich mich einfach mal melde. Es hat mich zutiefst bewegt, wie Viele mir aus Deutschland und aller Welt geschrieben haben, auch ohne dass sie von mir die Nachricht vom Tode meiner Ursel erhalten hatten. Das war überhaupt sehr schwierig, denn ausgerechnet in den Tagen versagte unsere kleiner Anschriften-Computer.

Nach schier endloser Zeit in Deutschland voller Arbeit und Probleme ohne Ende, einer allzu kurzen reise durch das noch winterkalte Land und unwürdigen Schwierigkeiten mit Ursels Urne, bin ich am 15.6. nach Hause geflogen, zu VAGANT. Nun läuft das Schwerste, mich einzurichten für ein Leben ohne Ursel.

Da dürfen noch lange nur praktische Überlegungen und Zwänge gelten. Die viele unerledigte Post ist aber keinesfalls vergessen. Ich kann einfach noch nicht so antworten, wie ich es gerne möchte. Bald. Bestimmt!

Leider bin ich immer noch in Bellingham. Die Stadt ist so lang hingestreut, daß es eine armselige Kreatur wie ich, die ohne Auto, Telefon und Computer vor sich hin vegetiert schwer hat, überhaupt etwas zu erledigen. Das nächste Einkaufszentrum „The Mall“ mit seinen Mammutläden liegt zwar nur 10 Autominuten nebenan, für mein Klappfahrrad, zur Hälfte von einer frisch erneuerten Hüfte betrieben, aber kaum näher als Deutschland. Dort gibt es natürlich ALLES und noch mehr, sogar Lebensmittel und Feinkost einer Auswahl, die schon fast die Hälfte einer kleinen REWE-Filiale zuhause an der Ecke erreicht. Hier draußen könnte man glatt verhungern.

Trotzdem habe ich weder Lust noch Grund zum Meckern. Als ich Ursels Sachen zusammengekramt hatte, um sie sinnvoll weg zu geben, sackte ich erst einmal auf einen Tiefpunkt, an dem ich mir kaum noch vorstellen konnte, wie es weiter gehen sollte. Doch dann wandte ich mich wegen diesen Sachen an eine stattliche Einrichtung zur Betreuung von Obdachlosen und Asozialen. Dort erkannten sie mich sofort als Fall, der nicht nur das Anlegen einer Akte erforderte.

Seitdem kommt doch wenigstens einmal die Woche die eine oder andere charmante aber fachkundige Dame vorbei, um nachzuschauen, wie es mir geht, ja sogar zu prüfen, welche stattlichen Hilfen mir vielleicht zustehen könnten und erstaunt bedauernd, daß ich keine brauche; schließlich lebe ich hier ja unter Slum-Bedingungen.

Doch schon die routinierten aber einfühlsamen Gespräche helfen und Christine, Seglerin und Leiterin dieses staatlichen Versuchs einfacher Menschlichkeit hatte wohl den besten Gedanken: sie setzte eine Patenfamilie auf mich an, freiwillige Helfer, eine Lehrerfamilie mit 2 Töchtern, Segler. Er, Delayne, ist sogar schon zweimal nach Hawaii gesegelt, einmal davon sogar Einhand.

Die sind richtig lieb zu mir. Einkaufsfahrten, Arztbesuche und technische Expeditionen mit Dads verstaubtem Pickup, Pams 300er Mercedes Turbo-Diesel, Tochter Dels verbeultem VW oder Töchterchen Gels gelbem 57er Chevy in antikem Toppzustand. Schon soviel selbstbewusste Weiblichkeit und strahlende Jugend neben mir helfen meinem Greisenwackelkopf um mindestens 20 Grad höher. So viel Charme, Bein, Busen . . . Lachen . . . und so . . .

Die Welt ist also immer noch schön, trotz der ersten Wochen. Ganz ungewöhnlich mieses Wetter. Temperaturen zwischen 12 und 15 Grad. Regen, Niesel. Wind. Sturm. Als ich wieder an Bord kam, fand ich kein der vorher so ausführlich besprochenen und von Deutschland aus noch einmal bestätigten Arbeiten gemacht und was ich dann endlich in Gang bringen wollte, ging gar nicht oder daneben. Durch ein Versehen zuhause kam die erste Post erst jetzt, nach fast 8 Wochen. Seit Anfang bin ich schlecht zurecht und brauche viel Ruhe; seit voriger Woche brauche ich ärztliche Hilfe.

So schaffte ich zwischendurch nur eine kleine Osmose-Behandlung mit großer Antifouling-Schmiererei hinterher und unter Decke nehme ich immer noch unser Schiffchen ,mit seinen unzähligen Besonderheiten gaaanz langsam und gründlich in Besitz. Das schafft natürlich zunächst einmal eine formidable Unordnung, regelrechten „Zustand“. Ursel ist allgegenwärtig und doch nicht da. Manchmal wundere ich mich weinend und lachend zugleich über die für mich allzu weibliche aber praktisch funktionierende Logik ihrer ausführlichen Bestands- und Staulisten. Dann spüre ich sie besonders nah, lächelnd, „das war ich. Nun mach Du mal schön . . .“

In der nächsten Woche hoffe ich endlich auslaufen zu können. Dann geht´s erst nach Vancouver. Dort müsste bis dahin Ursels Urne eingetroffen sein; eine traurige Geschichte für sich. Jetzt ist schon August. An einem 4. Oktober sind wir vor Jahren „da oben“ gekentert. September ist der unerbittlich späteste vernünftige Monat für einen kurzen Vorstoß in den Norden. Also drücke ich mit aller Macht.

Freunde, habt noch ein bißchen Geduld mit mir. Ich freue mich über jeden Brief, aber melden kann ich mich erst später.

Tach, ich spüre, daß ich allmählich wieder auftauche.

Gruß

Friedel